Um 14 Uhr begann dann der Seminarteil in unserem Seminarraum mit einer Vorstellungsrunde, bei der wir diejenigen, die dieses Mal neu dabei sind, kennen lernen konnten, und sie uns, und in der wir auch erfuhren, wie es allen in den letzten Monaten ergangen ist. Neu dabei war diesmal auch eine Lebendspenderin mit Ihrem Mann, die Ihrem Bruder, der schon länger beim HDP e.V. aktiv ist, eine Niere gespendet hat.
Am Nachmittag stand dann erst mal eine Wanderung von circa 7 Kilometern unter dem Motto „Walk & Talk“ auf dem Programm. Dabei gab es immer wieder die Gelegenheit sich mit einzelnen vertiefter auszutauschen und von den gegenseitigen Erfahrungen zu profitieren.

Nach dem Abendessen, das wir bei schönstem Sonnenschein und angenehm sommerlichen Temperaturen im Freien genießen konnten, fanden wir uns zum Abendprogramm wieder im Seminarraum ein. Der Organisator des Sportseminars, Jörg Rockenbach,  konnte Frau Prof. Dr. med. K. Schlosser vom Agaplesion Evangelischen Krankenhaus Gießen (Leitende Oberärztin und Leiterin der neu eingerichteten Sektion „Gefäßchirurgie und Endokrine Chirurgie“ und besondere Spezialistin zum Thema Nebenschilddrüsen und Knochenstoffwechsel) für einen Vortrag zum Thema „Einfluss von Sport und Bewegung auf Knochen und Gesamtbefinden bei Patienten mit CNI“ gewinnen. Wichtig war ihr dabei insbesondere, darzulegen, welchen Einfluss Sport und Bewegung auf die Gesamtgesundheit haben und uns davon zu überzeugen, einen regelmäßigen Übungs- oder Bewegungsplan in unseren Alltag zu integrieren. Außerdem stellte sie uns ein aktuelles Bewegungsprogramm vor, das uns vielleicht zum Nachahmen am eigenen Dialysestandort anregen soll. Zunächst legte sie uns dar, welcher „Leistungsknick“ in der Regel mit Nierenerkrankung und Dialysepflicht einhergeht: Bei Dialysepatienten ist die Muskelkraft in der Regel um 30 -60% vermindert, wobei die Kraft der Beinmuskulatur besonders beeinträchtigt ist, die allgemeine Ausdauer liegt in der Regel bei bis zu 60% unter der Altersnorm und es bestehen oft Beeinträchtigungen der Koordination und Flexibilität durch zusätzlich bestehende Neuropathie und Osteopathie. Ursache hierfür ist nicht zuletzt, dass Dialysepatienten zusätzlich 600 – 1000h/Jahr im Liegen verbringen, eben an der Dialyse. Aber auch sonst kommt es oft zu Schonung und Vermeidung von Bewegung, was wiederum zu weiteren Funktionseinbußen und Schwäche führt, so dass schon bei geringer Anstrengung Überlastung und Erschöpfung auftreten. Dieser Bewegungsmangel hat negative Folgen für Muskulatur, Knochenstoffwechsel, Herz-Kreislaufsystem. Nervensystem und führt zu oft erheblichen Einschränkungen im Alltag.
Dagegen steigert regelmäßiger Sport die körperliche Fitness, schafft Selbstvertrauen und sorgt für gute Laune. Viele Dialysepatienten empfinden dies als eine deutliche Steigerung der Lebensqualität. Beispielhaft als positive Auswirkungen von Sport genannt werden unter anderem Senkung des Blutdrucks, Anregung des Stoffwechsels, Stärkung der Herzfunktion, Vorbeugung von Arterienverschlüssen, Minderung von Muskel- und Knochenbeschwerden, Reduktion von Medikamenten bis hin zur Steigerung der Wirkung der Dialyse durch Sport. Außerdem stellte uns Frau Prof. Schlosser Beispiele von systematischem Ergometertraining während der Hämodialyse im Zentrum vor. Neben dem Ergometertraining gehörten in das Programm Training von Beweglichkeit, Koordination, Kraft und Ausdauer mit Aufwärm-, Dehn- und Lockerungsübungen neben Muskel- und Herz-Kreislauf-Ausdauereinheiten. Die nachgewiesenen Effekte dieses Programm waren beachtlich. So konnte unter anderen der Blutdruck gesenkt, die Dialysequalität gesteigert, die Medikamentation zurück gefahren und  der EPO Bedarf reduziert werden. Beindruckend waren auch die Berichte von einzelnen Patienten, die aufgrund der Teilnahme an diesem Programm aus der Pflegebedürftigkeit wieder in die Eigenständigkeit geführt werden konnten. Man bedenke einmal, was durch systematischen Sport an der Dialyse für Einsparpotential im Gesundheitssystem entstehen könnte durch geringere Medikamentation und geringere Pflegebedürftigkeit. Traurig allein ist die geringe Verbreitung derartiger Konzepte in der Praxis und das Fehlen engagierter Unterstützer, wenn es an die tatsächliche Umsetzung vor Ort gehen soll. Wir bedanken uns bei Frau Prof. Schlosser für ihr besonderes Engagement. Ein Vortrag, der uns in Erinnerung bleiben wird, nicht zuletzt durch die Referentin, die wirklich für ihr Thema und ihren Beruf „brennt“, was in dieser Form nicht oft zu finden ist.
Der Abend klang gemütlich aus im Bistro der Sportjugend, bei guten Gesprächen.
Der Freitagvormittag stand noch einmal ganz im Zeichen der Weiterbildung. Nach dem reichhaltigen Frühstück begrüßten wir zunächst Dr. Lars Bur am Orde von der Nephrologischen Praxis und dem PHV Dialysezentrum Wetzlar zu einem Vortrag zum Thema „Diabetes vermeiden durch Sport und Bewegung“. Wir lernten, dass es in Deutschland 10% Diabetiker gibt, von denen 90% Typ 2 Diabetes haben. Die gute Nachricht: Diabetes Typ 2 kann oft vermieden oder verbessert werden durch angepasste Ernährung und Sport. Studien aus den USA, Finnland und Indien weisen auf die Bedeutung für die Diabetes-Vorbeugung hin: Wer täglich mehr als eine halbe Stunde Fahrrad fährt oder zu Fuß geht, verringert das Erkrankungsrisiko um 36 Prozent! Außerdem: Wer fitter und schlanker in eine Nierentransplantation geht, hat ein geringeres Risiko für Komplikationen der OP und ein geringeres Risiko einen Kortison-Diabetes zu bekommen. Allgemein führt Sport zu mehr Muskeln und weniger Fett, wodurch der Alltag leichter gemeistert werden kann. Ausdauersport stärkt das Herz, gerade bei Herzkranken. Bessere Blutfettwerte durch Sport verringern das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Durchblutungsstörungen. Wir erfuhren, dass Sport nicht nur zur Diabetes-Prohylaxe beiträgt, sondern auch wenn sich bereits ein Typ 2 Diabetes ausgebildet hat, körperliches Training wichtig ist, denn Sport wirkt der Insulinresistenz entgegen: In der Folge steigt die Glukoseaufnahme und die erhöhten Blutzuckerwerte sinken. Auch der HbA1c-Wert lässt sich durch Sport nachweislich senken. Die optimale Therapieform sehen die aktuellen Empfehlungen in einer Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining. Dabei sollte Ausdauertraining für 150 Min/Woche mit nicht länger als 2 Tagen Pause, mindestens an 3 Tagen erfolgen, Krafttraining jeden zweiten Tag mit elastischen Bändern und Gewichten (mäßig).
Der zweite Vortrag des Tages wurde von Peter Kreilkamp, Dialysepatient und Vorstands-Mitglied des TransDia-Sport Deutschland e.V., gehalten. Thema war „Körperliche Aktivität vor und nach der Transplantation“. Peter führte uns die besondere Bedeutung von Sport vor und nach der Transplantation noch einmal ganz deutlich vor Augen: Vor der Transplantation dient der Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit, der Stärkung des Selbstbewusstseins und dem Zweck trotz Dialyse transplantabel zu bleiben, was aufgrund der langen Wartezeiten auf ein Organ in Deutschland besonders wichtig ist. Nach der Transplantation stehen dann die Erhaltung des Transplantats sowie die Reduzierung bzw. das Halten von Gewicht und Blutdruck und Erhaltung der Robustheit/ Resilienz als positive Effekte des Sports im Vordergrund.
Schon Hippokrates (460 – 370 v. Chr.) hat die Bedeutung von Sport erkannt: „Alle Teile des Körpers, die zu einer Funktion bestimmt sind, bleiben gesund, wachsen und haben ein gutes Alter, wenn sie mit Maß gebraucht werden. Wenn man sie aber nicht braucht, neigen sie eher zu Krankheiten, nehmen nicht zu und altern vorzeitig.“ Also keine falsche Schonung, trotz oder eben gerade wegen Erkrankung. Dies wird auch durch wissenschaftliche Erkenntnis gestützt, die zu dem Ergebnis kommen: „Leistungseinbußen im mittleren Alter entstehen nicht primär durch biologische Alterung sondern durch inaktive Lebensweise.“ Peter lieferte uns auch noch überzeugende Killerargumente gegen den inneren Schweinehund im Kampf mit dem Sport: Für Transplantierte: Ren sanus in corpore sane (Gesunde Niere im gesunden Körper) und die Verpflichtung dem Spender gegenüber; Für Dialysepatienten: Möglichst viel Lebensqualität erhalten und transplantabel bleiben. Ein weiterer Tipp: Bewegung suchen im Alltag, z.B. Stufen statt Rolltreppe, Fahrstuhl. Außerdem weist uns Peter auf die vielfältigen Sportveranstaltungen für Transplantierte und Dialysepatienten hin, wie die „Deutschen Meisterschaften für Transplantierte und Dialysepatienten“, die im Mai 2017 in Leipzig stattfinden werden, die „Radtour pro Organspende“, mitorganisiert durch unser Vereinsmitglied Jörg Rockenbach, in 2017 im Juli, die „World Tranplant Games“, im Sommer 2017 in Málaga und die „European Transplant and Dialysis Sport Championships“.
Nach dem Mittagsessen ging es dann praktisch weiter mit der Rückenschule von Dipl. Personal Trainerin Carina Reuschling. Im Mittepunkt standen diesmal Übungen mit einem lasch aufgeblasenen kleinen Ball als Trainingsgerät, von dessen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten zur Rückenertüchtigung wir uns praktisch überzeugen konnten. Aber auch die Tiefenentspannung am Ende des knapp zweistündigen Programms kam nicht zu kurz.
Danach ging es für einige zur Dialyse in der PHV Wetzlar, die anderen spielten Schwedenschach und ließen dann nach dem Abendessen den Abend wieder gemütlich ausklingen.
Am Samstag stand wieder ein vielfältiges Sportprogramm zur Verfügung, für das wir uns diesmal in kleinere Gruppen aufteilten. So konnte jeweils eine Gruppe eine circa einstündige Radtour mit gemieteten E-Bikes unternehmen. In dem doch recht hügeligen Wetzlar liessen sich die Vorteile des E-Bikes auf dieser Tour fantastisch erproben, und der ein oder andere wurde angespornt, auch zu Hause nach dieser Möglichkeit Ausschau zu halten und so den Drahtesel doch wider ein wenig öfter zu besteigen. Eine andere Gruppe erprobte im Crossboccia-Spiel die unterschiedlichsten Örtlichkeiten der Umgebung als Spielfläche, vom Basketballkorb über die Halfpipe der Skater, alles kann bei diesem Spiel eingebunden werden, was den Spaßfaktor enorm steigert. Ein weiteres Sportangebot ist auch wieder Yoga unter meiner Leitung. Mit dabei sind neben Atem- und Entspannungsübungen die 5 Bewegungsrichtungen der Wirbelsäule und der Sonnengruß, aber auch ganz klassische Yogapositionen wie der Hund oder der Baum.
Nach dem lockeren Grillabend im wunderbar lauem Sommerabend wurden wir spontan von den Jugendübungsleitern in Ausbildung, die parallel zu uns grillen, animiert an einem Menschen-Mensch-ärger-Dich-nicht-Spiel teilzunehmen, bei den die Spielfiguren durch Menschen auf entsprechend großem Spielfeld im Innenhof dargestellt werden. Es wurde ein lustiger, langer Abend im regen Austausch mit den jungen Leuten.
An unserem letzten Tag, dem Sonntag, war uns das Wetter leider nicht mehr hold. Das eigentlich geplante Minigolfturnier am Vormittag musste wegen strömenden Regens abgesagt werden. Alternativ gab es eine vorgezogene Feedbackrunde und anschließend Zeit für ein Brainstorming, in dem Wünsche und Vorschläge für das nächste Sportseminar geäußert werden konnten.
Vielen Dank an die Techniker Krankenkasse für die finanzielle Unterstützung im Rahmen der Selbsthilfeförderung und an Jörg Rockenbach für die tolle Organisation eines durch und durch gelungenen verlängerten Wochenendes, das ganz im Zeichen des Sports- und des Austauschs stand.

Stefanie Neuhäuser


Fotos von unseren Aktivitäten kann man sich aber schon mal bei Facebook über diesen Link ansehen. (ohne Anmeldung möglich)

Das HDP-Sportseminar wurde in diesem Jahr durch die TK - Techniker Krankenkasse finanziell unterstützt.